Erbschaftssteuer

Steuerpause bei der Erbschaftssteuer bei Schenkungen/Erbschaften zwischen dem 01.07.2016 und 09.11.2016

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte mit Urteil vom 17.12.2014 entschieden, dass § 13a ErbStG und § 13 b ErbStG (Regelungen zum Betriebsvermögen mit Verschonungsregelungen) in der Fassung des sog. Wachstumsbeschleunigungsgesetzes (WBG) von 2009 jeweils in Verbindung mit § 19 Abs. 1 ErbStG (Inhalt: Steuersätze) mit Artikel 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgebot) unvereinbar ist. Gleichzeitig hat es in seinem Tenor entschieden, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar ist, wobei der Gesetzgeber verpflichtet ist, eine Neuregelung spätestens bis zum 30.06.2016 zu treffen. Eine Neuregelung wurde allerdings durch den Gesetzgeber erst am 04.11.2016 beschlossen und am 09.11.2016 mit dem Erbschaftssteueranpassungsgesetz (ErbStAnpG 2016) verkündet. Nach dem Gesetzeswortlaut trat das neue Erbschaftssteuerrecht – rückwirkend – zum 01.07.2016 in Kraft. Der Gesetzgeber hat damit gegen die Frist des BVerfG verstoßen. Es stellte sich nunmehr die Frage, wie Schenkungs- und Erbschaftsfälle zwischen dem 01.07. und 09.11.2016 steuerlich zu behandeln sind, insbesondere also, ob die im neuen ErbStG genannte Rückwirkung verfassungsrechtlich haltbar sind.

Bei nicht zulässiger Rückwirkung könnten sich für den genannten Zeitraum folgende Konsequenzen ergeben:

  • Fortgeltung des alten Rechts mit in der Regel günstigerer Verschonungsregel bei Betriebsvermögen (unechte Steuerpause)
  • kein Anfall von Erbschaftssteuer (echte Steuerpause)

Zu der Rechtsfrage u.a. der Wirksamkeit der Rückwirkung hat es erstinstanzliche Urteile gegeben, die die Rückwirkung für zulässig gehalten haben.

Nunmehr hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem ersten Revisionsfall am 06.05.2021 folgendes entschieden:

„Die Regelungen des ErbStG i.d.F. des WBG 2009 betreffend den Erwerb von Privatvermögen und den Steuersatz sind über den 30.06.2016 hinaus weiter anwendbar.“

Es lag folgender Ausgangsfall zugrunde:

Die Klägerin war Alleinerbin nach ihrer am 28.08.2016 verstorbenen Tante. Der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb bestand aus Privatvermögen (im Wesentlichen Bankguthaben sowie eine ausgezahlte Lebensversicherung). Das Finanzamt setzte die Erbschaftssteuer der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) unter Anwendung eines Steuersatzes von 15 % für die Steuerklasse II nach § 19 Abs. 1 des ErbStG i.d.F. des WBG 2009 fest, wandte also das alte Recht über den 01.07.2016 hinaus an, während die Klägerin von einer Steuerpause ausging und die Festsetzung von Erbschaftssteuer überhaupt für rechtswidrig hielt. Der BFH hat im vorliegenden Fall die Festsetzung der Erbschaftssteuer für verfassungsgemäß angesehen.

Der BFH hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Norm fest, führt dies nicht zwangsläufig zur Nichtanwendbarkeit der Norm. Maßgeblich ist der Tenor der Entscheidung des BVerfG. Stellt das BVerfG die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten. Wird nicht zugleich eine Fortgeltungsanordnung getroffen, dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden.

Aus besonderem Grund, namentlich im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung, hat das BVerfG allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen (Fortgeltungsanordnung). Bei einer derartigen im Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ausdrücklich getroffenen Anordnung steht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der weiteren Anwendung der betreffenden Rechtsnorm —im vom Verfassungsgericht angeordneten Umfang— als solche außer Frage.

Teilweise ordnet das BVerfG die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen bis zu der dem Gesetzgeber für eine Neuregelung gesetzten Frist an. Die Fortgeltungsanordnung ist jedoch nicht zwingend an die dem Gesetzgeber zur Neuregelung eingeräumte Frist gekoppelt. Sie kann auch —unabhängig von einer Verpflichtung des Gesetzgebers— bis zu einem bestimmten Datum gelten. Für den Fall, dass der Gesetzgeber die gesetzte Frist zur Neuregelung verstreichen lässt, stehen dem BVerfG hinsichtlich der Fortgeltungsanordnung verschiedene im Urteilstenor zu nennende Möglichkeiten zur Verfügung, die in der Entscheidung im Einzelnen ausgeführt werden.

Entscheidet das BVerfG, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar und der Gesetzgeber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Neuregelung verpflichtet ist, sind die verfassungswidrigen Regelungen entsprechend der Tenorierung unabhängig vom Fristlauf für den Gesetzgeber bis zu der tatsächlichen Neuregelung anwendbar. Der BFH weist allerdings darauf hin, dass dieses in der Literatur umstritten ist. Er sagt aber auch, dass es auf diese Verfassungsfrage im vorliegenden Fall nicht ankommt, denn die Regelungen des ErbStG waren im Hinblick auf den Erwerb von Privatvermögen sowie den zugrunde zu legenden Steuersatz über den 30.06.2016 hinaus anwendbar, ohne durch eine spätere rückwirkende Regelung ersetzt zu werden. Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt sich jedenfalls daraus, dass das BVerfG angeordnet hat, das bisherige Recht bleibe bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Diese Regelung stellt eine unbefristete Fortgeltungsanordnung dar. Die Frist bezieht sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen und ändert an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen wird. § 19 ErbStG ist damit, soweit die Vorschrift der Besteuerung der Klägerin zugrunde gelegt wird, nicht Gegenstand einer Rückwirkung durch das ErbStAnpG 2016, sondern Gegenstand der Fortgeltungsanordnung.

Der vorliegende Fall bezog sich auf die Vererbung von Privatvermögen. Es stellt sich die Frage, nach einer Steuerpause bei der Schenkung und Vererbung von Betriebsvermögen:

Das BVerG hatte in seiner Entscheidung aus 2014 eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes in folgenden Bestimmungen gesehen:

  • die Bestimmungen über die Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs begünstigten Vermögens, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen,
  • die Freistellung von der Pflicht zur Einhaltung der Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG als Voraussetzung der Verschonung, soweit sie für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten galt,
  • die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008, soweit sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen begünstigtes Vermögen (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG 2008) selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht, sowie
  • die Möglichkeit exzessiver Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft,
  • die einfach gestaltbare Umgehung der 50 %–Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008 für Verwaltungsvermögen durch Nutzung von Konzernstrukturen und die Begünstigung von Geldvermögen durch die Schaffung von "Cash-Gesellschaften.

Das bisherige Erbschaftssteuerrecht war wegen der zu günstigen Behandlung des Betriebsvermögens, nicht wegen der in § 19 ErbStG geregelten Steuersätze verfassungswidrig. Mit dem ErbStAnpG 2016 wurde eine partielle Rückwirkung zur Beseitigung der verfassungswidrigen betriebsvermögensbezogenen Regelungen des bisherigen Erbschaftssteuerrechts geschaffen. Die Frage, ob diese partielle Rückwirkung verfassungsgemäß ist, wurde durch die Entscheidung des BFH nicht getroffen und ist weiter offen.

Hier bleibt die Frage, wann hierzu die erste Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts den BFH bzw. das BVerfG erreicht. Bisher liegen dem BFH nur Vorgänge der Erbschaftssteuer zu Vorgängen im Privatvermögen vor.